Während des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts hatte unter den Kurfürsten aus dem baierischen Hause die nahe Verbindung mit Frankreich und die feindliche Stellung gegen Kaiser und Reich zum Herkommen des Erzstiftes Cöln gehört. Zugleich war die Entartung des Hofes in einem solchen Grade gestiegen, daß die Vornahme kirchlicher Handlungen durch Priester, wie die Kurfürsten waren, als eine Verhöhnung der christlichen Religion und als eine Schmach für die katholische Kirche angesehen werden mußte. Unter den beiden letzten Kurfürsten baierischen Stammes, Joseph Clemens 1088-1723 und Clemens August 1723-1761, gelangte zur vollen Reife, was Jahrhunderte <166> entwickelt hatten. Joseph Clemens erklärte unbedenklich, daß er künftig weder communiciren, noch Messe lesen, noch irgendeine bischöfliche Handlung vornehmen werde, wenn sein Beichtvater ihn an dem Umgange mit Frau Ruisbeck, die ihm mehrere Söhne geboren hatte, hinderlich sein wolle. Clemens August überließ Weibern und Günstlingen, welche den schamlosesten Bestechungen zugänglich waren, die Regierung und gab sich der unsinnigsten Verschwendung und den wildesten Vergnügungen hin. Dreihundert Kammerherren, eine Masse geistlicher und weltlicher Diener, Hofbeamte jeder Art, Sängerinnen und Tänzerinnen bildeten den erzbischöflichen Hof; Bälle und Maskeraden, Spiel und Jagden, Schwelgerei und Ausschweifungen waren zur Gewohnheit des täglichen Lebens geworden. Pferde und Hunde kosteten unglaubliche Summen, und für seine Baulust kannte der Kurfürst keine Grenzen; die Schlösser Clemensruhe in Poppelsdorf, Entenfang, Herzogsfreude in Röttchen, Augustusburg mit dem dazu gehörenden Falkenlust in Brühl, das Rathaus und das Coblenzer Thor in Bonn sind unter ihm gebaut. Zwar erhielt der Kurfürst Millionen von Frankreich, errichtete eine Landeslotterie und borgte von Wucherern, aber auch diese Einnahmen waren nicht groß genug, um ihn der widerwärtigsten Geldnoth zu entziehen, oder der allgemeinen Verkäuflichkeit ein Ende zu machen. Das eigentlich Entsetzliche dieser Zustände lag aber in der Meinung, daß trotz der allgemeinen Fäulniß Alles sei, wie es sein solle, wenn nur die hergebrachten, regelrechten Formen unverbrüchlich gehalten würden. Das strengste Hofceremoniell machte die Zuchtlosigkeit der Sitten wieder gut; an die Moral des gemeinen Volkes glaubte der Kurfürst sich und die hohe Geistlichkeit nicht gebunden, aber fest hielt er an jedem Lehrsatz der katholischen Kirche; das religiöse Leben mochte ersterben, wenn nur die kirchliche Devotion sich erhielt; der Kurfürst baute und weihte Kirchen, nahm alljährlich geistliche Uebungen vor, flüchtete zu der Stola des heiligen Hubertus, als er sich von einem tollen Hunde gebissen wähnte, beschenkte die Marienbilder aller Orte und wallfahrtete in eigener Person zu der wunderthätigen heiligen Jungfrau in Alt-Oettingen. Aber mehr noch, als durch strenge Beobachtung der kirchlichen Vorschriften und Gebräuche, machte der Kurfürst durch seine cordiale Gutmütigkeit und willkürliche Verschwendung, welche gelegentlich dem Bittenden wie dem Bettler zu statten kam, bei Bürger und Bauer die Liederlichkeit des Hofes und den Druck der Finanzwirthschaft vergessen. <167> Als Clemens August gestorben und Max Friedrich Graf von Königseck 1761 an seine Stelle getreten war, wurden die kostbaren Lustbarkeiten eingestellt, die Besoldungen verringert, die Gläubiger des vorigen Kurfürsten nicht bezahlt und keine Mittel versäumt, möglichst viel Geld aus dem eigenen Lande und von fremden Regierungen zu erhalten. Habsucht trat an die stelle der Verschwendung; im Uebrigen aber ward in kurzer Zeit Alles wieder so, wie es gewesen war. Der bei seinem Regierungsantritt als sittenstreng bekannte Kurfürst ward von der hergebrachten Verderbtheit des Hofes überwältigt und gab sich bald dem ausschweifendsten Leben hin; die Ausgelassenheit erreichte einen solchen Grad, daß Bonn selbst in Frankreich als Sitz der Frivolität und als eine Residenz verrufen war, in deren Leben Alles im Widerspruche mit der priesterlichen Steifung des Landesherrn stehe.
In diese Zustände hinein ward durch die hergebrachten Geldbestechungen, niedrigen Listen und Betrügereien 1780 der Erzherzog Max Franz, der Bruder Kaiser Joseph‘s und jüngster Sohn der Kaiserin Maria Theresia, als Coadjutor für das Erzstift Cöln und Bisthum Münster gewählt. Als der stattliche vierundzwanzigjährige junge Herr am 30. September 1780 zur Begrüßung des Kurfürsten in Bonn erschien, machte sein kluges Auftreten, sein gewinnendes Benehmen und seine fürstliche Freigebigkeit den besten Eindruck und erweckte große Hoffnungen für die Zukunft. Nach kurzer Anwesenheit am kurfürstlichen Hofe begab sich der Coadjutor nach Mergentheim zurück, wo er als Deutschmeister seine Residenz hatte und hielt sich von jeder Einmischung in die cölnischen Regierungsgeschäfte fern, bis er am 6. August 1781 nach des Grafen Königseck Tode Besitz von dem Kurfürstenthum nahm.
Der junge Kurfürst zeigte, so oft er als Erzbischof auftrat, priesterliche Würde und an den Lehrsätzen der katholischen Kirche rüttelte er nie; selbst ein gewisses pfäffisches Wesen ist ihm wohl zuweilen vorgeworfen worden. Mozart, der ihn 1775 in Salzburg gesehen hatte, fand ihn sechs Jahre später in Wien so verändert, daß er am 17. November 1781 schrieb: „Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand; so ist es auch wirklich bei dem Erzherzog. Als er noch nicht Pfaff war, war er viel witziger und geistiger und hat weniger, aber vernünftiger gesprochen; Sie sollten ihn jetzt sehen! die Dummheit guckt ihm zu den Augen heraus; er redet und spricht in alle Ewigkeit fort und Alles im Falsett, er hat einen geschwollenen Hals; mit einem Worte, als wenn der ganze Herr umgekehrt wäre.“ - Eine <168> Aenderung so durchgreifender Art, wie Mozart’s damalige Mißstimmung sie annahm, war gewiß nicht in dem Erzherzoge vorgegangen; seine kirchliche Haltung namentlich läßt auch in Bonn keinen Augenblick verkennen, daß der junge Erzbischof von Cöln ein Bruder Kaiser Joseph II. war. Recht bequem wußte er es sich mit der Beobachtung der vorgeschriebenen kirchlichen Formen zu machen; man sah ihn wohl auf einem Schimmel vor den Kirchfenstern in Kessenich oder auf einem offenen Wagen, die Pferde selbst leitend, vor der Kirchthüre in Godesberg halten, um die Messe zu hören. Eifrig ging er auf seines kaiserlichen Bruders kirchliche Richtung ein, wollte, wie dieser, die Aufklärung fördern und betheiligte sich mit jugendlichem Ungestüm an dem Kampf, welchen die deutschen Erzbischöfe begonnen hatten, um ihre Selbstständigkeit gegenüber dem Papste zu erhalten und zu erweitern. Schon seit 1760 waren Kurköln und der Papst in erbittertem, ununterbrochenem Streit, dessen eigentlicher Gegenstand sich hinter die Etikettenfrage versteckte, ob der in Köln residirende päpstliche Nuncius sein schwarzes Käppchen in Gegenwart des Erzbischofes aufbehalten dürfe oder nicht; hartnäckig ward jede förmliche Audienz verweigert, wenn er sich nicht statt des Käppchens einer Perücke bedienen wolle, aber Rom blieb fest, und als seit 1776 der Nuncius auch verlangte, daß der Kurfürst ihm die rechte Hand reichen und bei Tafel zwischen Damen setzen solle, ward der Zwiespalt bitterer und bitterer und vermengte sich endlich mit dem Kampfe der deutschen Erzbischöfe für ihre von Rom bedrohte Jurisdiction und Selbstständigkeit.
In dem langen Streite mit Rom hatte der Bonner Hof schon unter Max Friedrich (1761-1784) nicht ohne Besorgnis die alte Universität der benachbarten Reichsstadt Cöln beobachtet. Die herrschende Richtung derselben stand mit der des erzbischöflichen Stuhles in entschiedenem Widerspruch, und dennoch erhielten durch sie alle künftigen Priester und geistliche und weltliche Beamte des Kurlandes ihre Bildung. An der Wurzel wollte des Kurfürsten Minister, Graf Belderbusch, das Uebel angreifen und deshalb der Cölner Universität gegenüber in der Residenzstadt Bonn selbst eine neue Unterrichtsanstalt gründen. Die Cölner Universität bringe die Früchte nicht mehr, erklärte der Kurfürst, welche man von ihr erwarten müsse; durch die bis zum höchsten Verderben hingerissenen Schulzänkereien würden die Lehren und Wissenschaften hintenangesetzt; die Verfügungen, durch welche Kurfürst Adolf ein reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte Cöln verbreiten wollte, hätten alle Geltung verloren; es gäbe kein <169> Mittel, die Cölner Universität zu der Höhe zu erheben, auf der sie nach den Anforderungen der Wissenschaft stehen müsse, darum sei es nöthig, in Bonn eine andere akademische Anstalt zu errichten, auf der die kurcölnische Jugend den frischen Geist wahrer Wissenschaftlichkeit in sich aufnehmen könne. - Im Jahre 1777 ward die aus einer philosophischen, juristischen und theologischen Facultät bestehende Academie gegründet; ihre einflußreichsten Lehrer gehörten der antirömischen Richtung an; die Professur des Kirchenrechts ward dem Minoriten Hederich übertragen, obschon der Papst von dem Ausschluß desselben die Bestätigung der Akademie ausdrücklich abhängig gemacht hatte. Max Franz ward unmittelbar nach seinem Regierungsantritte (1784) einer der entschlossensten Führer in dem Kampfe der deutschen Erzbischöfe gegen Rom. Er verweigerte 1786 dem neuen Nuncius Pacca jede Audienz, bis er auf die Jurisdiction verzichtet habe, trat in schroffer Form den Versuchen desselben, amtliche Handlungen vorzunehmen, entgegen und unterzeichnete die Emser Punctation. Um die von seinem Vorgänger gegründete Akademie in Bonn zu stärken, weihte er dieselbe am 20. November 1786 in feierlichster Weise als Universität ein, und die bei der Feier gehaltenen Reden waren, wie der als Deputierter des Capitels anwesende Domherr dem päpstlichen Nuncius Pacca berichtete, eine offene Kriegserklärung gegen den heiligen Stuhl, und in den nächstfolgenden Jahren griffen viele der in Bonn erscheinenden Schriften die römische Curie und auch manche kirchliche Lehrsätze unverdeckt an. Ohne Scheu ward für die Aufklärung im Sinne des vorigen Jahrhunderts gearbeitet und 1788 selbst Eulogius Schneider an die neue Anstalt berufen; begierig hörten die jungen Leute den Spottreden ihrer Lehrer über die Mönche und so viele wirkliche oder vermeintliche Mißbräuche der katholischen Kirche zu und übten ihren Witz an Dingen, die dem Volke ehrwürdig waren. Als Erster unter den Subscribenten auf Eulogius Schneider’s schlüpfrige Gedichte stand der Name des Erzbischofs. Heftiger und heftiger wurden die Klagen und Beschwerden des päpstlichen Nuncius und des Capitels über den auf der Bonner Universität herrschenden Geist; der Kurfürst aber gab denselben kein Gehör, sondern sprach in einer Verordnung vom 11. August 1789 aus, daß wegen der Halsstarrigkeit und wegen des unanständigen gegen höchstdenselben bezeigten Betragens der stadtcölnischen Universität diejenigen, welche dort studirt hätten, in den kurcölnischen Landen künftig weder ein geistliches noch ein weltliches Amt erhalten sollten. <170> Von demselben Geiste, welcher in Bonn die Universität erfüllte, waren auch alle Lebenskreise der Residenz durchdrungen. Die Kammerherren, Obriststallmeister und Oberjägermeister, die bedeutenderen weltlichen und geistlichen Beamten gehörten dem kleinen hohen oder dem reicheren niederen Adel an. Groß gezogen in den leichtfertigen Sitten und den philosophisch-politischen Ansichten des vornehmen alten Frankreichs, standen sie der hergebrachten kirchlichen Autorität spottend gegenüber. Die Bürgerschaft der Stadt war zwar ausschließlich katholisch; Jedem, der in dieselbe aufgenommen werden wollte, hatte der Bürgermeister nach der revidirten Polizeiordnung von 1698 die ernsten Worte zu sagen: „Erstlich sollst Du geloben, daß Du, auch Dein Weib und Kinder der allein wahren Römisch-katholischen Religion, Kirchenordnung und Ceremonien, wie jetzo unser gnädigster Herr, der Erzbischof und Kurfürst zu Cöln, in seinem Erzstift, auch dieser Stadt Pfarrkirchen lehren, predigen und üben lassen, sein und bleiben, auch darmit Dich sättigen und dagegen nicht setzen noch auflehnen sollest oder wollest.“ - Von einer Neigung, mit der katholischen Kirche zu brechen, zeigte sich nirgends die geringste Spur, aber nichts läßt vermuthen, daß das religiöse Bedürfniß der Bürger tiefer, als das ihres Erzbischofs und des Hofes und der Priester desselben gewesen wäre, und Rom gegenüber nahm die Stadt die Stellung ein, wie sic „jetzo unser gnädigster Herr lehren, predigen und üben lassen." Das 1781 gegründete und vom Kurfürsten privilegirte Bonnische Intelligenzblatt schrieb, wie die anderen Blätter jener Zeit, für Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse, für Aufklärung und gegen den Aberglauben.
Unzweifelhaft war in der erzbischöflichen Residenz eine starke und giftige kirchliche Opposition unter Geistlichen und Laien, unter Lehrern, Beamten und Bürgern verbreitet, aber sie war nicht gegen die territoriale kirchliche Obrigkeit, nicht gegen den Erzbischof, sondern gegen die exterritoriale Autorität der päpstlichen Curie gerichtet und daher zunächst und unmittelbar dem Kurfürsten nicht gefährlich. Eben so wenig fand sich eine politische dem Kurfürsten feindliche Opposition. Obschon auch ihm es nicht in den Sinn kam, seinen Kurstaat den herrschenden naturrechtlichen Grundsätzen entsprechend umzuwandeln, so besaß er doch nicht allein die Zuneigung, sondern, so weit sich irgend erkennen läßt, auch die Achtung und das Vertrauen seiner Unterthanen. Schon daß er ein Erzherzog aus dem kaiserlichen Hause war, gab ihm eine Stellung, wie sie ein Kurfürst aus einem anderen katholischen Hause nicht gehabt hätte. Er war ein schöner stattlicher <171> Mann von vielem Verstand, sehr musikalisch, rasch und oft auch unüberlegt in seinem Thun und Treiben; bei einem Aufenthalt in Paris gab er so manchen Anstoß, daß die Königin, seine Schwester, sich sehr unangenehm berührt fühlte und Kaiser Joseph rücksichtslos von den Dummheiten des Bruders sprach. Zum Selbstregieren war er geneigt und befähigt. Der Minister Freiherr von Waldenfels und die Geheim-Referendarien Bersword und Wrede erledigten keine bedeutende Angelegenheit, ohne sie ihm vorgelegt zu haben; alle Eingaben an ihn wurden in seiner Gegenwart eröffnet und in den festgesetzten Audienzstunden durfte Jeder mündlich sein Anliegen vorbringen. Der Erzherzog wollte gerecht sein und war es auch, wenn er sich nicht irrte; der Schlaffheit und den vielen Mißbräuchen, an denen die Gerichts- und Verwaltungsbehörden litten, suchte er durch Aenderungen des Geschäftsganges und verschärfte Aufsicht entgegen zu treten; oft forderte er selbst die Acten ein und setzte dann die Beamten durch seine treffenden Randbemerkungen in Erstaunen. Die Präsidenten und Amtleute entnahm auch er mit wenigen Ausnahmen dem Adel; bei Besetzung aber des Hofraths, des Oberappellationsgerichts, der Hofkammer, des Bergamts, des Hofgerichts und der gelehrten Geheime Rathsstellen kannte er keine Rücksicht auf Geburt. Der im Erzstift eingerissene Grundsatz, schrieb er einmal, daß der Eine das Gehalt zieht und nichts thut, und der Andere für die bloßen Accidenzien die Arbeit verrichten soll, gefällt mir nicht. - Er versprach nicht allein keine Land und Leuten verderbliche Schulden zu machen, sondern führte wirklich eine neue bessere Ordnung in die Geldwirthschaft des Hofes und des Staates ein. Die Härte der peinlichen Strafen ward gemildert, und auch die Gefängnisse suchte er zu einem Aufenthalt für Menschen zu machen; Bittsteller, die unverschämt waren oder schienen, konnte er sehr barsch abweisen und galt bei Vielen für streng und herzlos, aber seine Gerechtigkeit, seine Liebenswürdigkeit und sein zutrauliches Wesen gewannen ihm die Herzen Aller; nur der Adel, über dessen träge Unfähigkeit der Kurfürst oft schonungslos spottete, grollte ihm und vergab ihm die Besetzung einflußreicher und einträglicher Stellen mit Bürgerlichen nicht. Daß sein Hof glänzend war und reiche Feste aller Art im Winter und im Sommer nicht fehlten, gefiel dem Volke, welches auch an des Kurfürsten Neigung zu Weibern keinen Anstoß nahm, war man doch seit Jahrhunderten ganz andere Dinge an den Erzbischöfen gewohnt, denn Max Franz verletzte wenigstens den äußeren Anstand nicht. <172> Die befriedigte politische Stimmung, welche im ganzen Kurfürstenthum herrschte, war vor Allem in Bonn zu Hanse. Bonn war durch Max Franz zur Residenz eines Fürsten geworden, dem an politischen Ansehen mir Wenige in Deutschland vorgingen. Max Franz war Kurfürst und Kurerzkanzler, war Hoch- und Deutschmeister, Bischof von Münster und Erzbischof von Cöln. Der cölnischen Landeshoheit waren untergeben das obere und untere Erzstift am Rhein mit den Aemtern Andernach, Linz, Ahrweiler, Bonn, Brühl, Zülpich, Brauweiler, Kaiserswerth, Urdingen und manchen anderen, ferner das Vest Recklinghausen zwischen Münster und Cleve und das Herzogthum Westphalen mit einer zahlreichen Ritterschaft und vielen Stiften und Klöstern. Als Erzherzog von Oesterreich und Bruder Kaiser Joseph‘s stand der Erzbischof in europäischen Beziehungen und nahm zu den großen Höfen eine Stellung ein, welche die Kurfürsten von Mainz und Trier nicht kannten. Dem Glanze seiner Abkunft und seiner geistlichen und weltlichen Stellung entsprechend hatte Max Franz seine Umgebung, seinen Hof und sein Leben in Bonn gestaltet. Der Obristhofmeister-, Obristkämmerei-, Obristmarschall- und Obriststallmeister-Stab, das Obristjägermeister- und das Hofbauamt, eine zahlreiche Hofmusik, die Leibgardencompagnie, die Gärtnerei, die Hoföconomiecommission, bei welcher allein acht Zuckerbäcker nebst Gehülfen sich fanden, bildeten mit den zahlreichen höheren und anderen eigentlichen Dienern den glänzenden Hofstaat des landesherrlichen Priesters. Die kurfürstliche geheime Staatscanzlei, der Geheime Rath, das Oberappellationsgericht, der Hofrath, das geistliche und weltliche Hofgericht, die Hofkammer, die Generalität, der Kriegsrath und manche Unter-Ämter hatten in Bonn ihren Sitz: die Grafen Königsegg, Salm, Belderbusch, Spee, Nesselrode, Hatzfeld, die Herren von Weichs, von Böselager, von Waldenfels, von Gudenau, von Spiegel und manche andere Glieder des niederen Adels verzehrten als kurfürstliche Diener Gehalt und oft auch eigene Einkünfte in der Residenz ihres Herren. Der Metternicher, Belderbuscher, Gymnicher Hof, die Häuser der Familien von Weichs, von Trotti, von Harf waren neben dem kurfürstlichen Schloß, dem Rathhause, dem der Universität übergebenen früheren Jesuitencollegium und den Klöstern der Franziscaner, Capuciner, Minoriten, Welschnonnen, Capucinessen und der Benedictinerinnen in dem alten Engelthal die einzigen größeren Gebäude Bonus.
Die Stadt hatte ihre durch die 1582 erlassene und 1698 verbesserte Polizeiordnung festgestellte Verfassung bewahrt. Nach derselben führte <173> als städtische Obrigkeit der Rath die Verwaltung; er wurde unter Vorsitz seines ans Neujahrsabend jeden Jahres durch ihn selbst eingesetzten Bürgermeisters gebildet aus fünfzehn verständigen, frommen Ehr- und Friedliebenden, habseligen katholischen Bürgern, von denen drei ans dem kurfürstlichen Schöffenstuhl, die übrigen aus den Freunden von Zwölfter erwählt wurden. Dem Rathe gegenüber ward die Bürgerschaft vertreten durch die Freunde von Zwölfter, d. h. durch die von jeder der zwölf Zünfte, in welche die Stadt getheilt war, ernannten Amtsmeister. Alljährlich 311 Lichtmeß versammelten sich dieselben auf dem Bürgerhause in der Zwölfter Stube und wählten die Abgeordneten, welche in Gegenwart kurfürstlicher Commissarien die Rechnung des Rathes abhörten und mit ihm die neuen Ausgaben und Einnahmen vergleichen sollten. Die Gefälle der Stadt bestanden neben kleinen Abgaben in dem Weidegeld auf der Kuhweide, dem Umschreibegeld bei dem Verkauf liegender Gründe, dem Standgeld ans dem Markte und manchen Brächten, ans der Accise von Wein und Bier, von gesalzenen und grünen Fischen und von Lebensmitteln und Waaren jeder Art. Die Paar Tausend von dieser Verfassung umschlossenen Einwohner Bonn’s, welche nicht im landesherrlichen Dienste standen, lebten doch fast ausschließlich von dem Kurfürsten und dessen Beamten. Die Krämer und Handwerker arbeiteten für den Hof, für die geistlichen und weltlichen Diener und etwa für die nächstgelegenen Dörfer; ein wirklich städtisches Leben konnte sich von solchen Grundlagen aus nicht erheben. Bis auf die Ueberwachung der Begräbnisse, des Zapfes der Wirthe, des nächtlichen Schwärmens, des Brodverkaufes, der Sesselträgerordnung, der Reinigung der Gossen und Rauchfänge erstreckte sich die Fürsorge der Kurfürsten. Die Thätigkeit des Rathes der Stadt bestand fast ausschließlich darin, in höchst behaglicher Breite mit den Zünften zu streiten und die Geldleistungen, welche die Regierung begehrte, mit zäher Beharrlichkeit zu verweigern. Mancher langwierige Kampf über Mein und Dein ward zwischen Stadt- und Landesregierung geführt, aber zu der Person ihrer Kurfürsten stand die Bürgerschaft im besten Verhältnisse und stimmte seiner kirchlichen und politischen Haltung freudig zu.
Der Ausbruch der französischen Revolution rief in diesen Zuständen zunächst keine Aenderung hervor und scheint nicht einmal Aufregung <174> oder auch nur große Theilnahme erzeugt zu haben. Aus den Stadtrathsprotokollen des Sommers 1789 würde Niemand entnehmen können, daß sich etwas Bedeutendes in der Welt zugetragen habe; das Bonnische Intelligenzblatt erwähnte bis zum Sturm auf die Bastille der Pariser Ereignisse nicht und begann am 23. Juli seine erste Nachricht mit den Worten: „wir haben bisher wegen Enge des Raumes von den Unruhen, welche in Frankreich seit der Versammlung der Generalstände herrschen, geschwiegen, nun aber wird die Sache ernsthaft und wichtiger.“ - Seit dieser Mittheilung gab das privilegirte Blatt der Residenz kurze Uebersichten der Thatsachen und verhehlte seine zustimmende Theilnahme an der fortschreitenden Bewegung nicht; es tadelte die Hofcabale, es rühmte den König, weil er die Wünsche des Volkes erfüllte, es bewunderte den Eifer, mit welchem die Nation daran arbeite, die Feudalrechte aufzuheben und Freiheit und Bürgerglück in das Reich zurückzuführen; entschuldigend wird einmal kurz bemerkt: „die bei solchen Revolutionen gewöhnlichen Unbequemlichkeiten nehmen eher zu als ab.“ - Die 1785 in Bonn gegründete Lesegesellschaft, welche der Kurfürst selbst zu besuchen pflegte, legte in ihrem auf dem dritten Stocke des Rathauses befindlichen Zimmer ungehindert die revolutionären Zeitungen und Flugschriften des Tages auf.
Seit dem Ende des Jahres 1789 aber erwachten in dem Kurfürsten mehr und mehr Bedenken; die Königin von Frankreich, gegen deren Gemahl der Sturm sich richtete, war seine Schwester; sein Bruder, Kaiser Joseph, der ihm immer als Vorbild gedient, sah Alles, was er gewollt, scheitern und starb am 20. Februar 1790; der Kurfürst nahm kirchlich und politisch eine veränderte Haltung an. Er verbot den Vertrieb revolutionärer Schriften, er ließ einen Winkeladvocaten Roth, der sich in der Eifel umhertrieb und politische Reden hielt, aufgreifen und ins Zuchthaus setzen; dem Fürstabt von Malmedi und dem Bischof von Lüttich schickte er ein Bataillon zur Hülfe und ließ im Juni 1790 an dem Reichstage scharfe Strafen gegen Alle beantragen, welche democratische Grundsätze verbreiten wollten; im Intelligenzblatt seiner Residenz waren alle politischen Mittheilungen schon früher strenge überwacht, mußten seit dem Sommer 1791 in königlichem Sinne gegeben werden und seit dem 12. Januar 1792 gänzlich aufhören. Auch kirchlich machte sich die veränderte Richtung sehr bemerkbar; im Februar 1790 gab der Kurfürst den Anforderungen des Capitels nach, verfügte Untersuchungen gegen mehrere <175> Professoren und sprach als seinen unabänderlichen Willen aus, daß auf der Universität in Bonn nichts gelehrt werden solle, was gegen die Grundsätze der katholischen Kirche oder gegen die gute Sitte sei. Endlich am 16. Mai 1791 ward auch Eulogius Schneider‘s früher ausdrücklich approbirter Katechismus verboten und gegen den Verfasser Haft in einem geistlichen Correctionshause ausgesprochen; Schneider entfloh nach Straßburg zu dem constitutionellen Bischof Brendel; ein Carmeliter- und zwei Minoriten-Mönche, welche, wie Schneider, Professoren an der Universität gewesen waren, folgten ihm bald und wurden durch Männer, die keinen kirchlichen Anstoß gaben, ersetzt.
Der Kurfürst traf, als er der revolutionären Bewegung kirchlich und politisch entgegentrat, in seiner Residenz auf keinen Widerstand. Der einheimische Adel, die höheren Beamten und Geistlichen hatten wohl ein unverantwortliches Spiel mit der frivolen Literatur der Franzosen getrieben, aber gegen einen politischen und kirchlichen Umsturz waren sie und eben so die Bürger der Stadt, die fast Alle von ihnen lebten. Auch die Verachtung und die Erbitterung, welche in Mainz und Coblenz durch den emigrierten französischen Adel und hohen Clerus erzeugt worden war, fehlte in Bonn, denn der Erzherzog von Oesterreich fühlte sich zu vornehm, um sich wie die beiden anderen geistlichen Kurfürsten blenden zu lassen; er hatte den Emigranten immer mit Zurückhaltung begegnet und nicht erlaubt, daß sich eine größere Zahl derselben an seinem Hofe oder an irgendeinem Orte seines Landes sammelte. So entfernt war die Stimmung der erzbischöflichen Residenz von Abneigung gegen ihren geistlichen Herrn und von Zuneigung zur französischen Republik, daß auch in den Tagen keine Spur einer revolutionären Unruhe bemerkbar ward, in denen nach dem Rückzuge der Verbündeten aus der Champagne die republikanischen Truppen mit Sicherheit in Bonn erwartet wurden; Freunde von Zwölfter vielmehr traten zusammen und ließen am 21. October 1792 kurfürstlicher Durchlaucht vorstellen: da dem zuverlässigen Vernehmen nach die patriotischen Franzosen sich wirklich den Mainzischen und Trierschen Landen herannahen, die Umstünde also wenigstens dermal ganz bedenklich sind, so möge kurfürstliche Durchlaucht Keinem, weder Geistlichen noch Weltlichen, gestatten, aus der Stadt zu gehen oder sein Vermögen zu verbringen; auch möchte kurfürstliche Durchlaucht verordnen, wie man, auf den Fall, daß die Franzosen ihren Marsch hierher richten sollten, sich zu verhalten habe, und ob Bürgermeister und Rath ihnen entgegengehen und sie aus eine freundschaftliche <176> Weise zu gewinnen suchen sollten. - Während die Bürgerschaft sich im Angesicht des drohenden Sturmes fest an ihre Landesobrigkeit anzuschließen suchte, nahm diese in der allgemeinen Rathlosigkeit eine Haltung an, welche die revolutionäre Gesinnung, wenn sie in der Stadt gewesen wäre, nothwendig zum Ausbruch hätte bringen müssen. Der Kurfürst erwiderte dem Stadtrathe am 22. October: auf die Vorstellung der Freunde von Zwölfter sei eine bestimmte Antwort so eigentlich nicht zu geben. An demselben Tage zeigte er dem Stadtrathe au, daß er bei den gegenwärtigen Kriegsunruhen nöthig befunden, sein hier in Garnison liegendes Regiment einstweilen anderweitig zu verlegen; der Stadtrath werde daher die Bürger in Ordnung und Ruhe zu halten wissen. - Jetzt bereits flüchtete ein großer Theil des Adels und der höheren Geistlichkeit. Am 4. December befahl eine kurfürstliche Verordnung, daß sich sämmtliche Beamte, Gerichte und Stadträthe in den gegenwärtigen Kriegsunruhen bei jeder Vorkommenheit passiv zu verhalten hätten; am 14. December ward bekannt gemacht, daß ein Theil der Regierung nach Recklinghausen verlegt sei, und am 15. December flüchtete der Kurfürst selbst nach Münster. Die Bürger waren Wochen hindurch nur sich überlassen, verharrten aber in ruhigster Haltung, bis, statt der angekündigten Franzosen, österreichische Truppen einrückten und der Spannung ein Ende machten.
Am 20. April 1793 kehrte auch der Kurfürst nach Bonn zurück und ward in freudiger Bewegung empfangen. Die Bürgerschaft veranstaltete eine große Feier: die friedliche Bürgerfahne wehte ans dem Markte, heißt es in dem Berichte, alle Aemter, alle Klostergeistliche, der Rath stellten sich auf, dazu die Junggesellencompagnien und die schuldlosen kindlichen Jungfrauen, alle schneeweiß gekleidet.
Anderthalb Jahre der Ruhe verflossen nach seiner Rückkehr; keine Spur irgend einer politischen Regung in der Bürgerschaft läßt sich erkennen, der Rath verhandelte, wie wenn die ganze Welt im tiefsten Frieden läge, über die Klagen von Gesellen, welche die Zunft nicht als Meister aufnehmen wollte, über versäumte Reinigung der Straße und nächtliches Lärmen oder zankte sich mit der Landesregierung über diese und jene Forderung. Der Kriegseifer für die Ehre des Reiches scheint allerdings, weder in der Residenz, noch im Lande, sehr groß gewesen zu sein, wie sich aus der langen Reihe von Ausreißern schließen läßt, welche nach der am 22. Februar 1794 angeordneten neuen Aushebung allwöchentlich bekannt gemacht wurde. <177> Die zweite Hälfte des Jahres 1794 brachte das Kurfürstenthum Cöln zuerst in unmittelbare Berührung mit der französischen Republik; als die Truppen derselben im Sommer den burgundischen Kreis, dann auch Lüttich und Trier besetzt hatten, erkannte Kurfürst Max Franz die Gefahr seiner Lage und bereitete Alles zum Fortgehen auf lange Zeit vor; der Marstall ward verkauft, das Archiv, die Silberkammer, die Bibliothek, das physikalische und das Naturalien-Kabinet wenigstens theilweise nach Hamburg geflüchtet; in den ersten Tagen des October verließ der Kurfürst selbst, segnend und mit Thränen im Ange, seine Residenz, um sie niemals wieder zu sehen; er ging über Dorsten nach Münster, von dort nach Mergentheim, lebte seit dem 24. Februar 1799 in Ellingen bei Nürnberg, seit Mai 1800 in Wien und starb am 27. Juli 1801 zu Hetzendorf. Sobald er aus Bonn abgereist war, zerstreuten sich der Hof und die vornehmen geistlichen und weltlichen Beamten nach allen Seiten. Die Universität setzte, da einige Professoren nach kurzer Unterbrechung wiederum zu lesen begonnen hatten, ein Scheindasein bis 1797 fort, übte jedoch keine Art von Einfluß ans. Das Domcapitel flüchtete von Cöln nach Arnsberg, bald aber gingen die Mitglieder desselben hierhin und dorthin; nur der Domherr Caspers blieb, ward nach dem Tode des Erzbischofs 1801 Generalvicar und nahm als solcher mit den wichtigsten Capitelspapieren seinen Sitz in dem Hintergebäude des „grünen Baum," eines kleinen Gasthofes zu Deutz. Mit so ehrenhafter Ausdauer und so glücklichem Erfolge stellte der wackere Manu in feiner Person die Fortdauer des Capitels dar, daß, als 1825 das neue Erzbisthum Cöln gegründet ward, das Capitel desselben sich als Fortsetzung des uralten kurcölnischen betrachtete.
Am 8. October 1794 rückte General Marceau mit seinen Truppen in Bonn ein und forderte die nicht geflüchteten Mitglieder der kurfürstlichen Behörden ans, vorläufig ihre Amtsthätigkeit fortzusetzen; im Wesentlichen indessen waren Stadtrath und Freunde von Zwölfter, welche niemals eine selbstständige politische Thätigkeit geübt hatten, allein ans sich angewiesen; so abgeneigt auch die Bürger sich allen republikanischen Kundgebungen zeigten, mußte doch aus Marceau’s Befehl bereits am zweiten Tage nach dem Einmarsch der Franzosen ein Freiheitsbaum gesetzt werden. In Gefolg Requisition wurde, wie das Stadtrathsprotokoll vom 10. October berichtet, ein Baum von denen am Krenzberg stehenden Tannen abgehauen, herein geholt und des Nachmittags vier Uhr dahier ans dem Markte vor dem Rathhause <178> errichtet, wobei Bürgermeister und Rath sammt den Freunden von Zwölfter zu erscheinen vom anwesenden Herrn General Marceau durch einen Generaladjutanten eingeladen und vom Rathaus herüber auf den Markt begleitet wurden.
Gute Kriegszucht hielten die Franzosen; selbst die Plünderungen wurden mittelst schriftlicher oder mündlicher Anweisung vorgenommen. Als erste Verordnung nach seinem Einrücken ließ General Marceau unter Trommelschlag verkünden, daß Jeder die Assignaten zu ihrem Nennwerthe nehmen und daß jeder Kaufmann seinen Laden öffnen und verkaufen müsse. Die Requisitionen wurden bescheiden genug begonnen. Auf Begehren sind, bemerkt das Raths Protokoll vom 10. October, dem General Marceau zwei Bouteillen Malaga zum Frühstück und einiges Weißbrod, dann ferner sechs Bouteillen Malaga und zwölf Messer und Gabeln nebst vierundzwanzig Löffel, Alles blettirt, zugetheilt worden. Bald aber nahmen die Requisitionen einen anderen Umfang an, zunächst ward Bettzeug, Leinwand und sonstiges Geschirr aus den Wohnungen derer, welche Bonn bei dem Anrücken der Franzosen verlassen hatten, genommen und in die Lazarethe gebracht, dann ward von Tag zu Tag dem Stadtrathe alles Mögliche massenhaft abgefordert: Hornvieh, Schreibpapier, Hafer, Weizen, Wachskerzen, Matratzen, Pfeffer, Aepfel, Siegellack, Leuchter, Reis, Erbsen, Bindfaden, Kapotröcke, Mistgabeln, Zucker, Franzbranntwein, Champagner, Burgunder, Sägen, Brod. Dem General Genier ward auf mündliche Requisition ein halber Hammel, zwölf Pfund Rindfleisch, sechs Pfund Kalbfleisch, sechs Flaschen Champagner und eben so viel Malaga und Franzbranntwein geschickt. Wagen, Karren, Pferde, Boten, Arbeiter, Köchinnen mußten gestellt werden. Ein Darlehen nach dem andern nahm der Stadtrath auf, und seine täglichen Sitzungen wurden fast ausschließlich mit Verhandlungen über die Art, wie den Requisitionen genügt werden könne, ausgefüllt. Alle städtischen Vorräte mußten aufgezeichnet, alle Gelder der öffentlichen Kassen bei dem Armeezahlmeister gegen Assignaten umgetauscht werden; auch jeder Privatmann hatte nicht nur Waffen und Pulver abzuliefern, sondern auch dem französischen General anzugeben, wie viel Wein er im Keller habe; sämmtliche Güter der nicht binnen vierzehn Tagen zurückkehrenden Flüchtigen sollten kraft einer Verordnung vom 22. October eingezogen und zum Verkauf gestellt werden.
Am 19. October hatte der Volksrepräsentant Gillet zwar bekannt gemacht, daß sich die Franzosen nicht in die Regierungsangelegenheiten <179> mischen wurden; zugleich aber trugen die Erlasse der Eroberer im November schon die Überschrift: Tod den Tyrannen! oder: Krieg den Palästen, Friede den Hütten! „Bürger“, heißt es in einem Ausruf an das Cölnische Volk vom 10. December, „zu lange war das herrliche und fruchtbare Land, welches ihr bewohnt, ein Erbtheil des Despotismus; stolz auf Euren Ursprung, ertrugt Ihr das Joch mit Ungeduld, und Euer Sehnen ging im Geheimen nach Freiheit. Ihr sahet, wie bei der Annäherung der überall siegreichen Heere Eure ewig unversöhnlichen Feinde, der Adel und die Geistlichkeit, flohen, im nie wieder zurückzukehren. Diese zwei privilegirten Stände, die Euch zu Sclaven gemacht hatten, fraßen auf die übermüthigste Art den Ertrag Eures reichen Landes. Nun sollen die weitläufigen Besitzthümer der Emigrirten dem Ackerbau zurückgegeben werden und die Menschen mittelst der unauflösbaren Bande des Eigenthums an die Revolution binden“ u. s. w.
Als in der zweiten Hälfte December 1794 in Aachen die Centralverwaltung der eroberten Länder zwischen Maas und Rhein angeordnet war, wurde Bonn Sitz der Bezirksverwaltung für die Cölnischen in sieben Cantone getheilten Länder; an die Stelle der früheren kurfürstlichen Gerichte trat ein Obertribunal, an die Stelle des Stadtraths eine aus zwölf Mitgliedern bestehende Municipalität; Niemand durfte die Aufforderung zum Eintritt in die neuen Behörden ablehnen.
Mit den Umgestaltungen in der Verwaltung stiegen die Forderungen der Franzosen von Woche zu Woche. Die Millionen Livres Contribution wurden bald erhöht und bald ermäßigt, bald auf diesem, bald auf jenem Wege beigetrieben. Der Verwaltungsbezirk Bonn hatte, „um durch thätige Menschenliebe und Häuslichkeit den neuen Brüdern in Frankreich beizustehen," täglich bis auf Weiteres 600 Centner Roggen, 200 Centner Weizen, 1000 Centner Hafer, 15000 zehnpfündige Bauschen Stroh an die Armeemagazine abzuliefern; während die überall ausbrechenden Seuchen massenweise das Vieh fortrafften, mußte jede Gemeinde das achte Stück ihrer Rinder und Schafe den Siegern geben; eine Verfügung vom 28. Januar 1795 forderte vom Bezirk 25000 Paar Schuhe binnen vierzehn Tagen; in der Stadt Bonn begann mit dem 14. Februar 1795 im Belderbuscher Hof der Verkauf aller beweglichen Habe der Emigrirten und dauerte fort bis zum Mai; schon im December 1794 war der Postmeister Peter Pauli zu einer Geldstrafe von 8000 Livres verurtheilt, weil er zwischen klingender Münze und Assignaten einen Unterschied gemacht hatte. Die <180> Municipalität ward zu genauer Auskunft aufgefordert über die in der Stadt vorhandenen „Kunststücke und Sachen der schönen Künste," da der französische Commissär beauftragt sei, dergleichen in den eroberten Ländern zu sammeln. Die schnell wechselnden Generale, Commandanten und sonstigen Officiere begehrten und erhielten sehr oft Geschenke vom Rathe, weil es gebräuchlich sei; 583 Livres, 40, aber auch vier und zwei Kronenthaler werden genannt; frisches Tisch- und Bettzeug mußten täglich geliefert werden, und oft wird geklagt, daß das Gebrauchte nicht wieder zu erhalten sei; die Stadtkommandanten aber ließen sich bei ihrer Versetzung regelmäßig ein Zeugniß über ihr gutes Betragen von dem Stadtrath ausstellen.
In den ersten Wochen des Jahres 1795 verbreitete sich von den überfüllten Lazarethen ans das Spitalfieber über die ganze Stadt: sechs große Gruben waren Mitte Februar am Tannenbusch zur Beerdigung der Todten gemacht; am 1. März waren sie bereits gefüllt und neue traten an ihre Stelle. Dem Eigenthümer des städtischen Leichenwagens fiel ein Pferd, die Municipalität beschloß, der Wagen solle mit Einem Pferd gefahren werden, da es unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich sei, an die Stelle des gefallenen Pferdes ein anderes herbei zu schaffen. Inmitten alles Druckes und aller Noth ward am 2. Januar 1795 Glockenläuten und Illumination wegen der glücklichen Successe der französischen Armee bei Breda anbefohlen und am 4. März mußte der Stadtrath jedem Armen drei Pfund Brod geben und die Stadtmusikanten Musik machen lassen wegen der siegreichen französischen Waffen in Holland. Bis zum Anfang des Jahres 1796 hatte sich das Elend in solchem Grade gesteigert, daß die Municipalität jede Hoffnung aufgab, den mit Hunger und Kälte kämpfenden Armen ans städtischen Mitteln zu helfen. Auch Anleihen konnte die Stadt nicht machen, heißt es in einem Aufrufe vom 9. Januar, weil sie Niemand wisse, der noch Capitalien habe; die Bürger, die noch im Stande dazu wären, möchten daher freiwillige Wochenspenden an die Quadratsaufsichter geben. Die tröstlich sich anlassende Aussicht, heißt es weiter, daß unser Elend ferner nicht länger mehr andauern kann, wird eine Ermunterung für Jeden sein, seinen gutwilligen Beitrag in erklecklichem Maße zu bestimmen, daß unsere Armen die gegenwärtige Noth annoch überleben und sich mit uns bei der Rückkehr guter Zeiten auch annoch des Lebens werden freuen können.
Um gefügige und schonungslose Werkzeuge zur Durchführung der angeordneten Maaßregeln zu erhalten, hatten die französischen Gewalthaber <181> den Rath der Stadt wiederholt in seiner Zusammensetzung geändert. General Hoche aber hielt es für das Zweckmäßigste, das Vaud durch die vor der Besetzung vorhandenen Personen und Behörden verwalten zu lassen; auch in Bonn trat demgemäß am Dienstag, den 21. März 1797, Nachmittags, der Stadtrath wieder zusammen, so wie er zur kurfürstlichen Zeit bestanden hatte; neben ihm wurden Freunde von Zwölfter auf das Neue vervollständigt.
Zu einer seiner ersten Sitzungen beschloß der Stadtrath, um die als oberste Verwaltungsbehörde neu eingesetzte Intermediär Commission sich geneigt zu erhalten, „Jedem von besagter Commission eine Aufopferung in fremdem Wein zu thun."
Perthes, C. T. (1862). Politische Zustände und Personen in Deutschland zur Zeit der französischen Herrschaft: Das südliche und westliche Deutschland, 2. Aufl. Gotha: Perthes.
1 Clemens Theodor Perthes (* 2. März 1809 in Hamburg; † 25. November 1867 in Bonn) war ein deutscher Rechtswissenschaftler und einer der Gründer der Inneren Mission.
2 (Perthes, 1862, S. 165 f); http://www.archive.org/details/politischezust01pert