Folge 3: 28.Februar 1933
[Schutzhaft]
Nach dem 28. Februar 1933 sind aus den damaligen Ortschaften Troisdorf, Altenrath, Friedrich-Wilhelms-Hütte 42 Männer und Frauen in die sogenannte „Schutzhaft“ genommen worden.
Diese "Schutzhaft" ist keineswegs eine Erfindung der Nazis, die ja manches bloss konsequent zu Ende getan haben, was andere vor ihnen schon gedacht haben. Schon vor 1914 konnte jemand in Schutz- oder Polizeihaft genommen werden, wenn diese Person z. B. durch Angriffe einer Volksmenge gefährdet schien. Auch in der Weimarer Zeit gab es die Polizeihaft zum Schutz der öffentlichen Ordnung; dabei war jedoch vorgeschrieben, dass der Verhaftete binnen 24 Stunden einem Richter vorgeführt werden musste.
Nach der Machtübergabe vom 30. Januar 1933 wird die Schutzhaft von den letzten rechtsstaatlichen Hemmnissen "befreit": Durch zwei Notverordnungen vom 4. und vom 28. Februar ("Reichstagsbrand-Verordnung") wird u.a. die Unverletzlichkeit der persönlichen Freiheit aufgehoben. Jetzt ist die Schutzhaft eine "vorbeugende polizeiliche Massnahme zur Ausschaltung der von staatsfeindlichen Elementen ausgehenden Gefahren" - so hätte man damals gesagt. Der neue preussische Innenminister Hermann Göring schärfte allen seinen Polizisten am 6. März ein:
„Zur Richtigstellung irrtümlicher Auffassung wird darauf hingewiesen, dass Schutzhaft im Rahmen des § 1 der VO vom 28. 2. 33 eine rein polizeiliche Massnahme ist, bei der jede Mitwirkung der Gerichte ausgeschlossen ist. Eine Vorführung vor einen Richter komme nicht in Frage.“
Die Reichstagsbrand-Verordnung "zum Schutz von Volk und Staat" wird dann auch von den Behörden zitiert, als einer der Schutzhäftlinge, der Troisdorfer SPD-Vorsitzende Josef K. , am 23. März und seine Ehefrau am 15. April eine "Eingabe" an den Landrat richten mit der Bitte um Entlassung. Am 5. Mai teilt Landrat Buttlar "Herrn Josef K. in Siegburg, Luisenstrasse 90" und dem Bürgermeister Langen mit:
„Nach Ausserkraftsetzung des Artikels 114 der Reichsverfassung durch § 1 der Verordnung des Herrn Reichspräsidenten vom 28. Febr[uar]1933 (R. G. Bl. I. S. 83) sind Beschränkungen der persönlichen Freiheit durch Inschutzhaftnahme zulässig. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung macht Ihr Verbleiben in der Haft zur Abwehr staatsgefährdender Gewaltakte erforderlich, sodass vorläufig eine Entlassung aus der Schutzhaft nicht in Frage kommen kann.“
Ein anderer Schutzhäftling, Christian R. , beschwert sich am 3. April 1933 schriftlich beim Regierungspräsidenten in Köln. Die kühle Antwort am 28. April: Die Beschwerde wird wegen Verspätung zurückgewiesen.
Neu in Deutschland ist auch, dass Parteifunktionäre ein Wörtchen mitreden bei der Frage, ob jemand entlassen werden kann oder nicht. So berichtet Bürgermeister Langen am 7. April dem Landrat:
„Der Führer der hiesigen SA erklärte mir, dass er beantragt habe, den Ra[. . . ] mit Lo[. . . ] und Fr[. . . ] am längsten in Schutzhaft zu halten.“
Und dem oben erwähnten Antrag des Josef K. auf Haftentlassung, den Bürgermeister Langen unterstützt, wird „seitens des Ortsgruppenführers der NSDAP nicht widersprochen.“ Der Beigeordnete Steinmetz (NSDAP), der seit dem 12. Mai 1933 den beurlaubten Bürgermeister Langen vertritt, teilt am 13. Mai dem Landrat mit, dass die Haftentlassung des Christian R. von dem Unterzeichneten und "von der örtlichen Parteileitung" weiterhin abgelehnt werde.
Die ersten Schutzhäftlinge werden schon am 15. März entlassen. Auf Anweisung des Landrats öffnen sich um 19 Uhr die Gefängnistore für Paul So. und Johann B.
Am nächsten Tag folgt Adolf R. , am 22. März Wilhelm Kn. , Konrad F. und Karl Kr. , am 27. März Johann M. , Paul S. und Hermann S. . Am 4. April ist Paul M. (vorläufig) frei, am 8. April Dr. Matthias O. (auch vorläufig), am 20. und 22. April Gottfried Ra. und Bruno Fr. .
Am 4. Mai 1933 sind im Siegburger Gefängnis noch 221 Schutzhäftlinge, darunter 40 aus dem Siegkreis, und folgende aus Troisdorf:
bis
Julius H. (FWH) (unbekannt)
Josef K. 10. Juli
Karl Ku. 27. Mai
Johann Lo. 19. Mai
Christian R. 02. Juni
Johann T. 02. Juni
Josef Z. 03. Oktober
Die Schutzhäftlinge, die zwischen Juni und Oktober entlassen werden, müssen sich zweimal täglich bei der Polizei melden.
Auch in den Ortschaften Altenrath und Friedrich-Wilhelms-Hütte greifen die Nazis mehrfach zu: Aus Altenrath werden Ferdinand V. und Heinrich J. am 6. Juni nachmittags verhaftet und nach Siegburg gebracht.
Auf "der Hütte" ist der bekannteste Schutzhäftling der Schulrektor Wilhelm R. Er wird am 3. Mai festgenommen, weil er gesagt haben soll, die Politik der Nazis sei eine Verdummung des Volkes. Als aber ein Zeuge bei der Vernehmung "auf Befragen an[gibt], die einzelnen Worte [. . . ] nicht wiedergeben zu können", wird R. bereits am 8. Mai entlassen. Vom 1. November 1933 an ist R. an der Schule Kirchstrasse tätig; dorthin ist er strafversetzt worden, verbunden mit einer Degradierung; sein Sohn, später Universitätsprofessor, avancierte später zum Führer in der HJ.
Der Lehrer Karl Ku. wird schon am 13. März, dem Tag nach der Gemeindewahl verhaftet. Er wohnt in Troisdorf, Fischerstrasse, und ist Vorsitzender der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Menden.
Johann B. (SPD und Reichsbanner) aus der Uferstrasse 17 wird am 12. oder 13. März verhaftet, kommt aber am 15. März, 19 Uhr, schon wieder frei. Er und Jean W. (ebenfalls aus der Uferstrasse) werden im März zwar noch in den Mendener Gemeinderat gewählt, aber Ende Juni aus diesem Gremium wegen ihrer SPD-Mitgliedschaft ausgeschlossen.
Julius H. , Büroangestellter, Windgassenplatz 3, kommt vom 30. Juni bis zum 3. August 1933 wegen "aufhetzende[r] Redensarten der Regierung und Bewegung[!]" ein zweites Mal in Schutzhaft. Er war bereits am 2. oder 5. Mai aus unbekanntem Grund und für unbekannte Zeit verhaftet worden.