Folge: 12.Mai 1933
Rücktritt von Bürgermeister Langen
Am 12. Mai 1933 endet die Amtszeit von Bürgermeister Matthias Langen. Formal erfolgt der Rücktritt auf seinen eigenen Wunsch, in Wirklichkeit aber wird er aus dem Amt gejagt. Was war geschehen ?
Matthias Langen, Jurist, 46 Jahre alt, ist seit 1927 Bürgermeister der Gemeinde Troisdorf. Hier – wie im gesamten Rheinland – gibt es seit Kaisers Zeiten eine starke Zentrumspartei, die Partei des politischen Katholizismus. Bei der Kommunalwahl 1929 hatte das Zentrum etwa 45 % der Stimmen erhalten, 1933 immerhin noch 34 % - und das, obwohl die Nazis seit Regierungsantritt Hitlers am 30. Januar schon heftigen Terror auf die Bevölkerung ausübten.
Gemäss ihrer Ideologie haben die Nazis, die ja nirgendwo in der Mehrheit waren, sofort den totalen Zugriff auf Deutschland und die Deutschen geprobt; keinem Beamten – vom Minister bis zum letzten Dorfpolizisten – haben sie die Möglichkeit gelassen, sich mit den üblichen Methoden („Das haben wir immer so gemacht“ o.ä.) dem Zugriff der Nazis zu entziehen.
Am 2. Februar 1933 – die Tinte unter Hitlers Ernennungsurkunde ist gerade mal trocken – müssen die Troisdorfer Polizisten die Wohnungen von Kommunisten nach Waffen durchsuchen; Ergebnis: negativ.
In der Nacht vom 14. auf den 15. Februar beschiessen Nazis das Volkshaus in Siegburg; Ergebnis: 1 Toter.
Am 22. Februar muss Bürgermeister Langen eine Liste von Kommunisten abliefern – auf Vorrat.
Am 28. Februar, am 12. März und am 13. März werden die meisten Troisdorfer Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet.
Am 7. März hissen die Nazis auf dem Troisdorfer Rathaus die Hakenkreuz-Fahne der NSDAP – mit Zustimmung des preussischen Innenministers Hermann Göring (NSDAP), am selben Tag in Godesberg und Köln, einen Tag später in Bonn, 3 Tage später in Oberkassel – um nur ein paar Beispiele aus der näheren Umgebung zu nennen.
Am 9. März steht Bürgermeister Langen, der oberste städtische Beamte, einigen SA-Leuten gegenüber, die die Schliessung der beiden jüdischen Kleinkaufhäuser „Ehape“ und „Hollandia“, beide an der Kölnerstrassse, erzwungen haben. Die Nazis sagen dem Bürgermeister frech ins Gesicht, ihr Vorgehen sei von der Kölner Gauleitung der NSDAP angeordnet. Seiner vorgesetzten Dienstbehörde, dem Landrat, schreibt Bürgermeister Langen: „Zur Vermeidung unzweckmässiger Weiterungen habe ich von polizeilichen Massnahmen Abstand genommen.“
Am 13. März, dem Tag nach der Gemeinderatswahl, wird Bürgermeister Langen kurzerhand von dem „Bevollmächtigten der Nationalen Regierung für den Siegkreis“ in Zwangsurlaub geschickt – am selben Tag ebenso seine Kollegen Lürken (Bonn) und Zander (Godesberg), Nücker (Oberkassel), Adenauer (Köln), am 12.4. Dr.Lehr (Düsseldorf). Bereits am Samstag vor der Wahl wird Bochums Oberbürgermeister Dr. Ruer von den örtlichen Nazis in seinem Büro mit der Androhung der Schutzhaft gezwungen, sein Amt niederzulegen.
Solche hemdsärmeligen Entlassungen - etwas anderes ist es nicht - gehen dem Regierungspräsidenten in Köln dann doch zu weit; er sieht die grosse Gefahr, dass durch dieses Wildwest-Personalkarussell "der geordnete Gang der Verwaltung erheblich gestört wird" und teilt den Landräten mit, dass Beurlaubungen seiner vorherigen schriftlichen Genehmigung bedürften; dies möchten sie auch bitte den Mitgliedern der NSDAP weitergeben.
Am Donnerstag, dem 16.März nachmittags, erhalten Langen und ein weiterer Beamter der Gemeindeverwaltung die Nachricht, dass die "Beurlaubung" aufgehoben sei. Eine Zeitung schreibt:
„Die vielen Wünsche innerhalb aller Kreise der Bevölkerung, die auf der Strasse oder am Biertisch sowie in einer Fülle von Schreiben und Telefonanrufen der Hoffnung Ausdruck gaben, dass Bürgermeister Langen baldigst die Leitung der Gemeinde wieder übernehme, sind am Donnerstagnachmittag in Erfüllung gegangen.“
Den anderen, oben erwähnten (Ober-)Bürgermeistern war eine Rückkehr ins Amt nicht vergönnt.
Am 21.März, dem "Tag von Potsdam", an dem der neugewählte Reichstag in der Potsdamer Garnisonkirche eröffnet wird, gibt es wie überall in Deutschland auch in Troisdorf eine grosse Feier. Am Abend veranstalten die "nationalen" Verbände einen Fackelzug, die Musikkapellen spielen, ein Feuer wird angezündet, und Raketen werden abgeschossen. Bürgermeister Langen ruft seine Mitbürger auf, "alles Trennende zurückzustellen" und der neuen Regierung treue Gefolgschaft zu leisten, bevor zum Abschluss das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied („Die Fahne hoch ...“) gesungen werden.
Ende März zwingen die Nazis den Bürgermeister, die konstituierende Sitzung des Gemeinderates abzuändern in eine nationale Feier, bei der er nur noch eine Randfigur ist. Obwohl sie nur 5 von 22 Sitzen im Gemeinderat haben, diktieren sie den Verlauf und die Gestaltung dieser Feier. Der Gemeindeverordnete (GV) Peter Steinmetz (NSDAP) wird Erster Beigeordneter, obwohl seine Fraktion genausoviele Sitze wie die „Gemeinnützige Interessengemeinschaft“ hat.
Am 4. April tagt der neue Gemeinderat zum ersten Mal – ohne die GV der KPD und SPD, die in „Schutzhaft“ sind.
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Troisdorf |
Troisdorf |
Bonn |
Beuel |
Godesberg |
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Stimmen |
Sitze |
Sitze |
Sitze |
Sitze |
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GIG |
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1048 |
5 |
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KPD |
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199 |
1 |
3 |
2 |
1 |
NAB |
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290 |
1 |
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NSDAP |
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1146 |
5 |
17 |
8 |
9 |
SPD |
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425 |
2 |
5 |
3 |
3 |
Z |
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1617 |
8 |
18 |
11 |
10 |
andere |
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5 |
1 |
3 |
Bürgermeister Langen gibt bekannt, dass er zwei Strassen nach Nazis bennant hat: die Poststrasse, an der das Rathaus liegt, in „Adolf-Hitler-Strasse“, und die „Friedrich-Ebert-Strasse“ (nach dem verstorbenen sozialdemokratischen Reichspräsidenten) in „Claus-Clemens-Strasse“, einem Nazi-Schläger, der bei einer Schiesserei zwei Jahre zuvor ums Leben gekommen war.
Langen
will „mitarbeiten am Wiederaufbau unseres Vaterlandes“. Der Vorsitzende der Bonner Zentrumsfraktion will mitarbeiten „zur Überwindung unserer allgemeinen wirtschaftlichen Not“, sein Aachener Kollege will „dem Reichskanzler Adolf Hitler eine Stütze sein“;
gelobt dem Reichspräsidenten Hindenburg und dem Reichskanzler Hitler „treue Gefolgschaft“,
befürwortet die Ehrenbürgerschaft für Hindenburg – und Hitler,
sang wahrscheinlich das „Horst-Wessel-Lied“ mit.
Damit hat Langen kaum die neuen Machthaber zufrieden gestellt, behaupten sie doch von ihm, „im Fahrwasser der Marxisten“ zu segeln. Auch dass er am 1. Mai noch schnell in die NSDAP eintritt, hat ihn politisch nicht mehr gerettet. Denn schon seit einiger Zeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen angeblich unsauberer Finanzgeschäfte; so soll Langen z.B. seinen Dispositionsfond von jährlich 500 Reichsmark unsauber geführt haben.
Am 12. Mai gibt Langen auf; er schreibt an den Landrat: „Zu meiner Erholung bitte ich, mir von Montag, dem 15.5.33, ab einen Urlaub von vier Wochen zu erteilen.“
Keine der Anschuldigungen hat Bestand. Das Verfahren wird im Oktober 1933 eingestellt. Langen ist aber seit August 1933 in den Ruhestand versetzt mit einem Ruhegehalt von 4.000 RM jährlich. Sein reguläres Gehalt bezieht er bereits von der Dynamit Nobel AG (DAG).
Nach 1945 beginnt Langen seine zweite Karriere als Gemeindedirektor. 1946 bewirbt er sich für dieses Amt, das nach dem Willen der britischen Besatzer strikt getrennt wird von dem des gewählten Vorsitzenden des Gemeinderates.
Der neue Landrat hat dem Troisdorfer Bürgermeister am 17.1.1946 mitgeteilt, dass die britischen Behörden die Personalanfragebögen der Gemeindebediensteten - auch der ehemaligen - geprüft hätten; danach "kann Langen eingestellt werden, wenn unbedingt nötig." Der Troisdorfer Entnazifizierungsausschuss hat Langen als "only nominal member" eingestuft; der Entnazifizierungshauptausschuss für den Regierungsbezirk Köln hatte am 7.3.1947 "no objections to employment", weil "nothing adverse found"; und auch der britische Sicherheitsoffizier vermerkte "may be employed". In der Troisdorfer Stellenanzeige vom 13.8.1946 sind ehemalige Parteigenossen („Pg’s“) ausdrücklich abgelehnt worden.
Bei der ersten Gemeindewahl nach 1945, am 15.9.1946, entfallen auf die kurz zuvor gegründete CDU 11 Sitze, das Zentrum 6, die SPD 3 und die KPD 1 Sitz. Langen erhält bei der Wahl am 29.10.1946 (d.h. vor dem Abschluss der Entnazifizierung) 12 Stimmen, der Gegenkandidat Kutzner 5; drei "weisse Stimmzettel" werden abgegeben; Agnes Klein (SPD) fehlte.