Folge 9: 05.12. 1933
[SA-Heim]
Als das Jahr 1933 sich dem Ende neigt, ist Deutschland verändert:
„Das laufende Jahr hat für unser Vaterland eine völlige Umgestaltung gebracht. Ich hatte Euch damals [=1932] geschrieben, daß wir nahe am Bürgerkrieg standen. Nur durch die Machtübernahme unseres Führers Adolf Hitler sind wir von dem furchtbaren Chaos verschont geblieben. Die politischen Parteien sind aufgelöst. Alle Personen, die sich durch ihre Parteitätigkeit strafbar fühlten, sind - soweit sie noch konnten - ins Ausland geflüchtet. Bezeichnend ist, daß bei den staatsfeindlichen Parteien die Juden die Führung hatten und jetzt im Auslande noch weiter gegen Deutschland arbeiten.
Die Umgestaltung verlief gegenüber der Revolution von 1918 sehr ruhig. Die weitere Entwicklung brachte ein geeintes Volk im deutschen Vaterlande, eine straffe Führung, die bei der letzten Wahl [=12. November 1933] das Vertrauen des Volkes fast einstimmig erhalten hat. Bis heute ist die Erwerbslosenzahl fast bis zur Hälfte gesunken. Neuer Lebensmut und Freude ist bei der Bevölkerung wieder eingekehrt. Den noch in Not stehenden Volksgenossen wird durch das Winterhilfswerk Nahrung und Kleidung gegeben. Jeder Deutsche hilft und spendet, soweit er in der Lage ist. Eine Besserung auf dem Arbeitsmarkt ist überall bemerkbar, diese bringt wieder Leben in den Geschäftsgang.“
Das schrieb ein Troisdorfer Geschäftsmann am 17. Dezember 1933 an seine amerikanische Verwandtschaft. In der Tat: Hitler hat bei den „Reichstagswahlen“ am 12. November fast 93 % der Stimmen für seine NSDAP bekommen – sie war aber auch die einzige Partei, die noch erlaubt war.
Dafür hatten andere Troisdorfer „ihre“ Partei verloren, mitsamt Mitgliederlisten und Parteikasse; zwei Dutzend Männer waren wochenlang in „Schutzhaft“, denn der Rechtsstaat war von den Nazis zerschlagen worden. Zwei Männer waren im Moorlager im Emsland eingesperrt, zwei weitere Männer waren in die Sowjetunion geflohen. Die Gewerkschaften waren verboten, dafür war der 1. Mai jetzt ein Feiertag.
Die beiden jüdischen Kleinkaufhäuser „Ehape“ und „Hollandia“ in Troisdorf waren zum ersten Mal von den Nazis drangsaliert worden.
Auf der anderen Seite hatten die Firmen DAG und Mannstaedt wieder Leute eingestellt, die Zahl der Arbeitslosen begann zu sinken.
Ein junger Mann erlebt Weihnachten 1933 aber nicht mehr: Anton Hamacher.
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Anton Hamacher (Photo ca. 1932) |
Er ist 1908 geboren und Vater eines vierjährigen Jungen. Seine Frau Elisabeth steht am 5. Dezember vor dem Sieglarer Standesbeamten
„und zeigt an, dass der Arbeiter Anton Hamacher, 25 Jahre alt, wohnhaft in Sieglar, Hauptstrasse 5, geboren zu Beuel, verheiratet mit der Anzeigenden, zu Sieglar, Rathausstrasse 1, am fünften Dezember des Jahres tausend neunhundert dreiunddreissig, vormittags um viereinhalb Uhr, verstorben sei.
vorgelesen, genehmigt und unterschrieben.“
Hinter den dürren Worten der Sterbeurkunde verbirgt sich die Tatsache, dass Hamacher im SA-Heim am Stationsweg zu Tode geprügelt worden ist - nur dürftig verschleiert durch den Umstand, dass er seinen Verletzungen erst im Sieglarer Krankenhaus erlegen ist. Über die Todesursache - die tatsächliche oder angebliche - gibt wohl kein Dokument mehr Auskunft; die Aussagen Überlebender oder Freunde weichen von einander ab.
Ein Mithäftling, Peter K., meint: Anton habe bei einem Verhör einem SA-Mann unbeabsichtigt den Ellenbogen ins Gesicht gestossen; der habe daraufhin Anton zu Boden geworfen und sei mit äusserster Kraft auf dessen Brustkorb gesprungen. Heinrich Z. weiss von einem geplatzten Blinddarm. Andere haben ihre Kenntnisse aus dritter oder vierter Hand. Das Resultat bleibt jedoch dasselbe: Mord - nur mühsam vertuscht durch die Einlieferung in das Sieglarer Krankenhaus.
Auch das Grab von Anton Hamacher ist heute nicht mehr auffindbar. Die Witwe hat 1938 nach Köln geheiratet; der Sohn, der heute auch nicht mehr in Troisdorf wohnt, erinnert sich noch daran, dass das Grab - vermutlich ein Reihengrab - links neben dem Eingang des Sieglarer Friedhofs war und dass er es nach 1945 noch gesehen hat. Der frühere Friedhofswärter Vo. berichtet, dass man nach 1945 damit begonnen habe, die Reihengräber in diesem Bereich einzuebnen.
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Lageskizze des SA-Heims am Stationsweg (rot gefärbt). Heute steht dort das Rathaus. |
Das SA-Heim, von dem hier die Rede ist, lag am Stationsweg 4. Grundstück und Gebäude (Wohnhaus und Schuppen) hatten bis 1932 der Witwe Homberg gehört, deren Mann die benachbarte Siedlung hatte bauen lassen. In den 20er Jahren war in den Anbauten die Schreinerei des August Kader. 1932 wird das gesamte Anwesen zwangsversteigert, die neue Besitzerin ist die "Gewerkschaft Hulda" in Duisburg. Mindestens zwei Mitglieder des Grubenvorstandes von "Hulda" sind Bankiers der Dresdner Bank Duisburg, die 1936 das Haus an den Troisdorfer Bauunternehmer Fritz Gr. verkaufen. Auf welchem Weg die SA ab Juli 1933 die Erlaubnis bekam, einen Teil der rückwärtigen Anbauten für ihre Zwecke zu nutzen, ist nicht bekannt.
Das SA-Heim war die private NS-Folterkammer in Troisdorf. Mehrere tatsächliche oder vermeintliche Kommunisten werden dort im Sommer/Herbst 1933 festgehalten und gefoltert. Zwei Opfer haben später ihre Erlebnisse berichtet: Leonhard R. und Peter K.; beide sind inzwischen verstorben. Leonhard R., Jahrgang 1907, aus der Roonstrasse 4, ist am 28. Februar, dem Tag nach dem Reichstagsbrand, untergetaucht und hat bis zum 5. September 1933 illegal in Troisdorf und Köln gelebt. Zwei Wochen, nachdem er wieder in Troisdorf erschienen ist, wird er von den Nazis gefasst und in das SA-Heim geschleppt.
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Leonhard R. (Photo von 1938) |
Leonhard R. schrieb:
„Am 19. September 1933 kam ich in das SA-Heim in Troisdorf (Stationsweg). Hier gab es zur Einführung Schläge mit der Hundepeitsche; als Begleitung lief ein Motorrad, damit man das Geschrei nicht hören konnte. Die Schläger bei mir waren St., Karl, Sch., Karl und B.; der letzt genannte ist verstorben. Dieser Vorgang wurde bei jeder Vernehmung gemacht. Es ist auch in den 10 Tagen, die ich im SA-Heim war, dreimal vorgekommen, wo ich zweimal am Tage dieses erlebte.
Als Vernehmungsbeamter war Kriminalkommissar Gi. Dieser Mann hatte eine besondere Methode: Er hatte nämlich einen Gummiknüppel und schlug mir auf den Hinterkopf, bis ich taumelig war. Dann sollte ich ein Phantasie-Protokoll unterschreiben, was ich verweigerte. An einem Tag, da war der Polizeiwachtmeister Walter M. der Mann, der seine Kraft zeigte; ich wurde von ihm so mit der Hundepeitsche geschlagen, bis er nicht mehr konnte. Da kam Kommissar Gi. dran und dann M., bis beide erschöpft waren. Am Schluss sagte dieser Mann, als ich auf der Erde lag und alle Viere von mir streckte: "Dir Kommunistenschwein soll man den Kopf zermalmen!" und setzte mir den Fuss auf den Kopf.
Den ganzen Tag musste ich mit Gesicht und Fussspitzen und erhobenen Händen an der Wand stehen. Hier hatte man einen Spruch an die Wand geschrieben:
"Heil Hitler! Heil Moskau! Rot Front!"
Sagte ich "Heil Hitler!", so war die Antwort: "Du Kommunistenschwein wagst es, "Heil Hitler!" zu sagen?!"
[Dann] wurde ich gezwungen, den anderen Spruch zu lesen; diese Antwort lautete: "Du Kommunistenschwein wagst, dieses heute noch zu sagen?!" Dann gab es Prügel mit der Hundepeitsche.
Bei der Einlieferung ins Siegburger Gefängnis hatte ich blutunterlaufene Augen von den Schlägen, die ich von Kommissar Gi. auf den Kopf bekommen habe. Protokollführerin war die frühere Angestellte Fräulein M. aus dem Bürgermeisteramt Troisdorf.“
Peter K. berichtet:
„Ich habe mich im Hof vor eine Hauswand stellen, die Arme heben und mit der Nase ein Stück Papier an die Wand drücken müssen. Wenn die Arme nach einiger Zeit erlahmten, stachen die Nazis mit Nadeln in den Oberarm. Weil ich bei der Vernehmung nicht „Heil Hitler!" sagte, wurde ich mit Stahlruten auf den Rücken geschlagen. Damit draussen keiner die Schreie hörte, liess man ein Motorrad laufen oder drückte den Gefangenen ein Kissen auf den Kopf. Ein Mitgefangener, Jakob S., trank in seiner Not seinen eigenen Urin.
Anwohner des Stationsweges, die doch irgendwann mal neugierig wurden, scheuchte die SA mit Gewehren von der Strasse oder von den Fenstern weg.
Als ich ins Siegburger Gefängnis eingeliefert wurde, hat dort niemand meinen zerschlagenen Rücken ärztlich behandelt.“
Ein anderer Gefangener soll - die Aussagen sind nicht ganz sicher - tagelang in einen „Eiskeller" gesperrt worden sein: einen wandhoch gefliesten, feuchten Kellerraum; dadurch habe er sich ein Nieren- oder Blasenleiden zugezogen.
Mindestens 10 Männer und vielleicht eine Frau sind - z.T. nur für Stunden - im SA-Heim gewesen; acht Männer und eine Frau sind am 26. bzw. 28.September 1933 ins Siegburger Gefängnis gebracht worden.
Ausser den schriftlichen Aufzeichnungen von Leonhard R., den Aussagen von Peter K. sowie zahlreicher Angehöriger und Freunde gibt es zwei amtliche Aktenstücke, die die "Vernehmung" in diesem Privat-KZ belegen:
der "Stimmungsbericht" des Beigeordneten Steinmetz an den Landrat vom 25.September 1933,
der "Antrag auf Erstattung der Kosten für Schutzhäftlinge während des Monats September 1933", unterschrieben am 3.Oktober 1933 von demselben Beigeordneten Steinmetz.
In seinem "Stimmungsbericht" schreibt Steinmetz u.a.:
„Im SA-Heim befinden sich eine Anzahl ehemaliger Kommunisten aus Troisdorf und Sieglar in Haft zwecks Vernehmung durch Beamte des Staatspolizeiamtes Köln. Ein abschliessendes Ergebnis liegt noch nicht vor.“
Und in seinem Erstattungsantrag führt Steinmetz für die Gemeinde selbst keine Kosten auf, setzt aber unter die Liste mit acht männlichen und einem weiblichen Schutzhäftling ohne genaueren Beleg:
„Die hier [im SA-Heim] und durch die Überführung der Schutzhäftlinge ins Gefängnis entstandenen Kosten belaufen sich auf 90,55 RM.“
Steinmetz gibt hier auch den Grund ihres Aufenthalts an:
„Die Schutzhäftlinge sind vor ihrer Überführung ins Gefängnis einige Zeit im S.-A.-Heim untergebracht gewesen zwecks Vernehmung durch den Beamten der Staatspolizeistelle in Köln.“
In dieses SA-Heim gelangt auch im August 1933 das Radio des Kommunisten Christian R., das - so R. - für rückständige Miete und Hundesteuer gepfändet worden sei. Es soll dort "Tag und Nacht" gelaufen sein, um die Schreie der Gefolterten zu übertönen; zu demselben Zweck liessen die SA-Leute im Hof immer wieder ein Motorrad im Stand laufen.
Im SA-Heim scheint man auch lange und viel telefoniert zu haben - auf Kosten der Gemeinde. Denn der Haushaltsplan für 1934 erhöht den Kostenansatz für Fernsprechgebühren von 3.700 auf 4.200 RM: "überwiegend auf den Anschluss des SA-Heimes zurückzuführen."
Aus der Zeit nach 1945 ist nur zwei Dokumente bekannt. In dem ersten bestätigt ein Peter Kn. am 16. Juli 1948:
„Als politischer Häftling war ich im Jahre 1933 im SA-Heim Troisdorf. Mir war der ehemalige Sturmführer der SA, Herr Heinrich Ke., bekannt. Ich erkläre, nie gesehen zu haben, dass derselbe jemanden geschlagen hat.“
Auch der Troisdorfer Entnazifizierungsausschuss kommt am 22. Juli 1948 zu dem Schluss, dass Ke. nie selbst geschlagen hat. Der Ausschuss hält aber fest, dass Ke. nach Aussagen von Betroffenen und Zeitzeugen
1.im SA-Heim ständig anwesend war;
2.von den Misshandlungen gewusst hat;
3.verantwortlich gewesen ist.
ENDE