1942 Mai 13 Jüdische Kultusgemeinde Württemberg an unbekannt [a]

Jüdische Kultusvereinigung Stuttgart, den 13.Mai 1942.

Württemberg e.V.

Rundschreiben Nr.:93

Mo/L.

 Abschrift [1] Eingegangen 15.Mai.1942

 Erledigt am [2]

Betr.: Abwanderung nach dem Generalgouvernement

Über die Reise und Ankunft der am 26.April abgereisten Abwanderer wurde uns von amtlicher [3] Seite folgendes eröffnet:

Der Transport kam infolge der schnelleren Beförderung eines anderen Transports [4] nicht wie vorgesehen nach Trawniki, sondern nach Isbica. Der Transport ging glatt und ohne Zwischenfälle vonstatten, abgesehen von einer 25stündigen Verspätung[!], die wohl auf das veränderte Reiseziel zurückzuführen ist. Mit Ausnahme von einer Nacht waren die Wagen ständig geheizt. Erkrankungen kamen nicht vor. Die Transportleitung hat einwandfrei funktioniert.

Isbica liegt ca.35 km südlich Trawniki, bezw. ca.80 km südöstlich Lublin. Isbica ist ein kleiner Flecken, jedoch kein Dorf mit Strohkaten, sondern mit Steinhäusern. Die Abwanderer sind in diesen Steinhäusern untergebracht, also nicht in Baracken, wie irrtümlich aus der Bezeichnung "Block" usw. angenommen werden konnte. Die Teilnehmer des Transports haben ihr Gepäck ausnahmslos erhalten, wie dies auch bei den Abwanderern nach Riga, wie erneut betont wurde, geschehen ist.

In Isbica ist auf den ersten Blick besonders der Schmutz und der Schlamm auf den Strassen auffallend (vor den Häusern 30 cm tief!) Dies wird sich jedoch mit der wärmeren Witterung sehr bald bessern. Es liegt nun alles daran, dass die Arbeitsfähigen unverzüglich mit Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten [5] beginnen. Die Abwanderer sind an ihrem neuen Aufenthalts[!]ort sehr viel sich selbst überlassen und unter weniger strenger Beaufsichtigung als in der alten Heimat. Es gibt zweifellos für die Arbeitsfähigen reichlich Gelegenheit, sowohl in der offenbar gut bewirtschafteten Landwirtschaft, als auch in kleineren Industrien Beschäftigung zu finden. Das Land ist fruchtbar. Es ist alles zu haben.

[6] Auf den Hinweis, dass der schon früher eingetroffene bayerische Transport ausserordentlich über die mangelhafte Verpflegung klage, wurde geäussert, das könne nur für die Übergangszeit zutreffen. Es komme alles auf die Fähigkeit unserer Leute an, selbst aufzubauen und zu organisieren. Man habe eine ausgesprochen polnische Wirtschaft angetroffen und zum Umbau und Aufbau sei angesichts des Krieges noch nicht genügend Anlaufzeit zur Verfügung gewesen.

Auf die Mitteilung, dass im Lande Württemberg bereits Nachrichten von Isbica eingetroffen seien, dagegen in Stuttgart nicht, wurde geäussert, es sei bekannt, dass der Postverkehr zugelassen ist. Es könne sich wohl also nur um eine vorübergehende Stockung handeln.

 Jüdische Kultusvereinigung W[ür]tt[em]b[er]g.e.V.

 [gez.] Moos

 Ernst Israel Moos.




[a] Fundstelle: .......................

[1] Stempelaufdruck

[2] masch.schr., vermutlich von einem Eingangsstempel der Anstalt übertragen.

[3] vermutlich die Gestapo, wegen des beruhigenden Charakters der Informationen; das meiste dürfte gelogen sein, zumindest nur die halbe Wahrheit darstellen.

[4] Die Begründung ist etwas dunkel, wahrscheinlich steckt etwas anderes dahinter: Es lief gerade eine "Aktion" am Zielort.

[5] Die Frage, wer vorher dort gewohnt hat, wird unterdrückt.

[6] Von hier ab scheint die JKG Äusserungen der Gestapo Stuttgart wiederzugeben.