Jüdische Kultusvereinigung Stuttgart, den 19.Mai 1942
W[ür]tt[em]b[er]g e.V. Mx/L Hospitalstr.36
Abt.MITTELSTELLE Fernsprecher 242 41
Eingegangen 23.Mai 1942
Betr.: Abwanderung nach dem Generalgouvernement
In Ergänzung der Mitteilungen vom 13.Mai 1942 erfahren wir von amtlicher Seite [4] noch Folgendes:
Der Ort Isbica ist eine Bahnstation. Es wohnen dort bereits einige tausend aus Deutschland abgewanderte Juden. Polnische Juden scheinen im Ort überhaupt nicht mehr zu sein. Die ganze Verwaltung ist in jüdischer Hand[,] und die Organisation auch bei der Ankunft des süddeutschen Transports habe gut funktioniert. Das Gepäck sei soweit nötig durch Ordner in die Quartiere, die schon bereitgestellt gewesen seien, gebracht worden. Es ist dort ein jüdischer Bürgermeister, ein jüdisches Wohnungsamt, jüdische Polizei, alles von aus Deutschland abgewanderten Juden besetzt. Die Gegend ist fruchtbar und vom Krieg völlig unberührt. Die Vegetation ist zurück. Bei Ankunft des Transportes habe es noch geschneit. Es sei anzunehmen, dass, sobald Gemüse gewachsen sei, auch die Ernährungslage erheblich besser werde. Auch die ärztliche Betreuung ist insofern gesichert, als 25 jüdische Ärzte am Platze sind. Die Unterkünfte seien nicht schlecht. Die Häuser würden auch äusserlich einen ordentlichen Eindruck machen. Man glaube, dass die Siedlung sich gedeihlich entwickeln könne.
Zwei Privatbriefen, die offenbar in guter Stimmung geschrieben sind, entnehmen wir, dass ein Teil unserer Abwanderer in das Arbeitslager Augustovka in der Nähe von Isbica gekommen ist. Das Lager sei auf einem grossen Gutshof in schöner Lage (Felder, Wälder, kleine Flüsse und Seen): Kühe, Schafe und Hühner seien vorhanden. Die Frauen sind in der Küche und mit leichten Feldarbeiten beschäftigt. Einige Männer sind auch bei der Ordnungspolizei tätig.
Jüdische Kultusvereinigung Wttbg.e.V.
Abt.MITTELSTELLE
[gez.] Alfred Israel Marx