Postkarte abgestempelt in Hannover, 28.7.1942
Minsk, Donnerstag (richtig Freitag), den 24.7.42, morgens 7 Uhr
Meine lb. Familie Bernauer!
Nach 87stündiger Fahrt sind wir gesund, munter u. guten Mutes hier in Minsk angekommen. In Wolhonye [gemeint ist Wolkowysk] sind wir aus unserem Kölner Zug in Viehwagen verladen worden. Wie es heisst, sollen wir gleich samt unserem Gepäck den Bahnhof verlassen, um in unser Lager eingewiesen zu werden. Man vermutet, dass wir in der näheren Umgegend v. Minsk bei Bauern in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Ob wir für längere Zeit hier bleiben, ist noch ungewiss.
Die Fahrt als solche war für mich ein grosses Erlebnis. Die Landschaft als solche war fast überall gleich. Nur die grösseren Städte wie Landsberg, Bromberg, Thorn, Warschau, Baranowitschi boten Abwechslung. Diese grossen Städte sind aber hier in Russland sehr weit voneinander entfernt. Zwischendurch sieht man fast nur kleine Dörfer mit hölzernen, strohgedeckten Häusern. Merkwürdigerweise hat fast jedes kleinste Dorf seine Kirche, von denen die meisten mit grossem Aufwand und künstlerischen Mitteln erbaut worden sind. Oft sieht [man] villenartige Häuser aus Holz u. Stein gebaut, die einen sehr feinen Eindruck machen.
Die Behandlung während der Fahrt von Seiten des Begleitpersonals war hervorragend, mangelnder war m[einer] A[nsicht nach] die schlechte Schlafgelegenheit im Zuge. In Personenwagen (Kölner Zug) waren wir zu 8 in Waggons eingeteilt. Nachdem wir in Wolhonye [Wolkowysk] umgeladen worden sind, lagen wir samt unserem Gepäck zu ca. 50 Menschen in einem Wagen. Unser mitgenommener Proviant ist bis jetzt noch nicht aufgegangen. Wie ich gerade höre, besteht eine gewisse Möglichkeit, dass wir in den hiesigen Betrieben in unseren Beruf en arbeiten können. Wenn es Ihnen möglich ist, senden Sie mir bitte mein Zeugnis, da dies von Wert sein soll.
Diese Karte wurde von einem Beamten unseres Begleitpersonals in Köln aufgegeben. Bleiben Sie gesund und seien Sie herzlich gegrüsst von Ihrem Oscar